Vom Kaiserreich bis zum Dritten Reich
Als Nachfolger von Stadtschultheiss Bracher wurde 1905 der Revisions-Assistent Gottlob Fischer aus Böblingen im Alter von 26 Jahren zum Ortvorsteher/Stadtschultheiss von Waldenbuch gewählt. Er war der erste direkt gewählte Gemeindevorsteher seit der Wahlrechtsreform von 1891. Auf ihn entfielen 242 von 337 Stimmen der Waldenbucher die das Bürgerrecht besaßen. Es waren nur Männer, älter als 25 Jahre, die auf ihr Vermögen auch Steuern bezahlten. Habenichtse waren von dem württembergischen Gesetzen von der Wahl ausgeschlossen. Damit sollte verhindert werden, dass jemand aufgenommen wird, der später der Gemeindekasse zu Last fällt. Fischer stand der SPD nahe und er selbst bezeichnete seine Wahl als einen Sieg der Sozialdemokratie im Schönbuch.
Die Versorgungslage in Deutschland wurde immer schwieriger und war vor allem seit dem sogenannten “Steckrübenwinter” von 1916/17 besonders angespannt. Fischer war daher bemüht, über die Landesvermittlungsstelle für Heimarbeit Aufträge der Heeresverwaltung für die Waldenbucher Frauen zu bekommen, was ihm auch gelang. In Heimarbeit nähten Waldenbucher Soldatenfrauen Kleidungsstücke und Sandsäcke für die Heeresverwaltung.
Daß die Eisenbahn nach langjährigen, zähen Verhandlungen und unzähligen Eingaben doch noch nach Waldenbuch gekommen war, hatte die Stadt in ganz besonderem Maße dem Engagement des Stadtschultheißen Fischer zu verdanken. Mit der Verleihung des Ehrenbürgerrechts an Fischer am Tag der Einweihung der Siebenmühlentalbahn, dem 22. Juni 1928, erkannte der Gemeinderat diesen langjährigen Einsatz an. Einstimmig beschloß der Gesamtgemeinderat, “dem Stadtschultheissen Gottlob Fischer … in dankbarer Anerkennung der zum Wohle der Gesamtgemeinde Waldenbuch geleisteten Dienste das Ehrenbürgerrecht der Gemeinde Waldenbuch zu verleihen”.
Am 28. März 1933 hatte Bürgermeister Fischer auf Veranlassung der NSDAP Ortsgruppe den SPD-Gemeinderäten mitzuteilen, daß ihre Fraktion ausgeschaltet und ihre Tätigkeit damit beendet sei. Der Gemeinderat wurde aufgelöst.
Nachdem der Gemeinderat mit NSDAP Parteimitgliedern besetzt worden war, wurde Bürgermeister Fischer nach achtundzwanzigjähriger Dienstzeit zum Rücktritt gezwungen. An seiner Stelle wurde am 19. Juni 1933 der Notariatspraktikant Oskar Blessing als kommissarischer Bürgermeister von Waldenbuch eingesetzt.
Der 1945 von den Allierten als kommissarischer Bürgermeister in Waldenbuch eingesetzte Alfred E. Ritter, wurde von Bürgermeister a.D. Fischer bis Februar 1946 unterstützt. Dabei gehörte die Unterbringung der Zuwanderer zu seinen Leistungen. Nach dem Rücktritt von Ritter wollte der Gemeinderat Fischer als Amtsverweser des Bürgermeisters einsetzen. Vermutlich wegen dessen späterer NSDAP Mitgliedschaft wurde dies von der amerikanischen Militärregierung abgelehnt. Stattdessen ernannte die amerikanischer Militärregierung Herbert Stehli zum Bürgermeister.
In seiner Amtszeit als Bürgermeister war Fischer maßgeblich an folgenden Projekten
beteiligt:
- 1908 Waldenbuch wird elektrifiziert
- 1910 Große Bachkorrektur der Aich
- 1921 Bau der Siedlung Liebenau
- 1921 Gründung und Verwaltung der Autobuslinie Stuttgart- Tübingen
- 1928 Abschluss des Eisenbahnbaus
- 1931 Eingemeindung der Teilgemeinde Glashütte
- 4 Wasserleitungsbauten
- Große Feldbereinigungsarbeiten
- Projekt Bauernansiedlung auf dem Braunacker
- Div. lndustrieansicedlungen
- Gründung der Molkerei GmbH
Wer war Gottlob Fischer?
Christian Gottlob Fischer wurde am 16. Mai 1879 in Hildrizhausen als Sohn des Bauern David Fischer geboren. Er verstarb am 14. Juni 1948 in Waldenbuch.
Fischer besuchte die Verwaltungsfach-schule in Stuttgart. In Privatunterricht erlernte er die französiche Sprache. Als Privatmann war er immer auf der Suche nach Neuem. So pflanzte er Maulbeerbäume um Seidenraupen anzusiedeln. Er züchtete Nutria (Biberratte) wegen deren Fell. Leider sind die Tiere immer wieder ausgebrochen und waren an den Bachufern zu finden. Dadurch hatte er immer wieder Ärger mit den Grundstücksbesitzern.
Mit seiner Frau Emma Fischer geb. Allinger aus Stuttgart hatte er 4 Kinder.
Nachdem er 1933 wegen politischer Gründe aus dem Amt des Bürgermeisters gedrängt wurde, war er sehr enttäuscht und mit der politischen Situation überhaupt nicht einverstanden. So beschloss er nach Brasilien auszuwandern. Mit seinem Sohn Eberhard und dessen Frau Wilhelmine geb. Bühler verließ er am 9. Juni 1934 Deutschland.
Um ausreisen und Geld mitnehmen zu können musste er in die NSDAP eintreten. Dies hatte bei der Entnazifizierung ein erhebliches Nachspiel. Er brauchte viele gute Zeugen um ohne Schaden diesen Prozess zu bestehen.
ln Brasilien im Staat Parana fanden sie ihre Bleibe und rodeten Bäume um Land zu gewinnen und Kaffee zu pflanzen. Nach schweren Anfangsjahren hatte Sohn Eberhard gute Ernten. Sie waren Mitbegründer der Stadt Rolândia, die bald zum Ziel von Flüchtlingen vor dem Nationalsozialismus wurde, ab 1935 auch vieler Juden. Fischer wollte seine Familie aus Waldenbuch nach Brasilien nachholen, aber die Familie wollte nicht und so kam er nach Waldenbuch zurück .
Uhlandshöhe
Fischer wohnte mit seiner Familie in der Uhlandshöhe, einem burgähnlichen Gebäude mit Turm, daß auf vielen Waldenbucher Ansichten zu sehen ist. Er kaufte das Grundstück von dem Apotheker Rudolf Uhland.
Das ursprüngliche Gebäude (schwarze Umrisse) war sehr klein und ähnelte eher einem länglichen Kirchenschiff, wie auf dem Plan von 1909 zu sehen ist.
Fischer ließ das Gebäude 1910 zu einem Wohnhaus verbreitern.
Die Form des Turmdaches hat sich über die Jahre immer wieder verändert. Von seinem Haus aus hatte er einen guten Blick aufs Rathaus. Das Haus wird heute von der Familie bewohnt.
Wolfgang Härtel im November 2020
Quellen:
Anne Lipp, Andreas Schmauder: Ein Jahrhundert Leben in Waldenbuch, Stuttgart 1996
Zeitzeuge Peter Arnold
Kreisarchiv Böblingen