Ein unbeliebter Schultes
Den Stadtschultheiß als Ortsvorstand wählten bis 1891 nicht unmittelbar die Bürger, sondern sie schlugen lediglich drei Kandidaten für die Stelle des Ortsvorstehers vor. Wer aber von diesen dreien schließlich Schultheiß wurde, das bestimmte die Kreisregierung. So bestimmte die zuständige Behörde mit Sitz in Ludwigsburg 1872 Christian Gottlieb Friedrich Bracher als Waldenbucher Stadtschultheiß – damals mit lebenslänglicher Amtszeit!
In seiner 33jährigen Amtszeit kam es immer wieder zu Spannungen zwischen ihm und der Gemeinde sowie dem Gemeinderat, was schließlich 1905 zu seinem Rücktritt führte.
Die Querelen erreichten 1900 einen Höhepunkt, als Bracher um Erhöhung seines Gehaltes bat und dies vom Gemeinderat abgelehnt wurde. Die Begründung dieser Entscheidung zeigt deutlich den Konflikt zwischen dem Stadtschultheißen und dem Gemeinderat. Im Gemeinderatsprotokoll ist zu lesen: “Da der Stadtschultheiß in der langen Zeit seiner hiesigen Amtsthätigkeit das Zutrauen der Bürgerschaft nicht erworben hat und derselbe dem Gemeinderat und Bürgerausschuß gegenüber lügenhafte Redensarten und das Ehrgefühl verletzende Aussagen gemacht hat, so sieht sich der Gemeinderat und Bürgerausschuß bei der bekannten Saumseligkeit, die auf dem Rathaus herrscht, nicht veranlaßt, die Gehaltserhöhung eintreten zu lassen, denn wie wollten wir uns bei der Bürgerschaft rechtfertigen, die ohne dies schon schwer leidet unter der gegenwärtigen Amtsführung des Stadtschultheißen.”
Bracher wehrte sich gegen diese Anschuldigungen und führte sie zurück auf den Einfluß und die “pure Gehässigkeit von ein bis zwei Gemeinderatsmitgliedern, welche auf Veranlassung des Stadtschultheißen wohlverdiente Strafen erlitten und welche es verstanden haben, die übrigen Mitglieder des Gemeinderats und Bürgerausschusses zu diesem Beschlusse zu überreden.” Dieser Beschluß gegen den Stadtschultheißen wurde zwar ein Jahr später wieder aufgehoben, aber das Verhältnis zwischen Gemeinderat und Bracher besserte sich offenbar bis zu dessen Rücktritt nicht mehr.
Nachdem Bracher 1905 wiederholt krank gewesen war und seine Amtsgeschäfte liegengeblieben waren – forderten Gemeinderat und Bürgerausschuß unverblümt seinen Rücktritt. Daraufhin legte er sein Amt nieder.
Das Verhältnis muß zu jenem Zeitpunkt schon so unterkühlt gewesen sein, daß Bracher gar nicht mehr selbst mit der Gemeindevertretung die Modalitäten seines Rücktrittes, das heißt seine Versorgungsansprüche aushandelte, sondern dies von seinem Sohn erledigen ließ. Brachers Nachfolger wurde Christian Gottlob Fischer.
Wer war Christian Bracher?
Leider ist wenig bekannt über seine persönlichen Verhältnisse. Er wurde am 19. Oktober 1840 in Göppingen geboren. Nach seinem Rücktritt als Stadtschultheiß verzog er nach Echterdingen. Er verstarb am 24. September 1912 in Waldenbuch. Hier zwei Episoden über seine Amtshandlungen.
Die nach der Verordnung von 1867 den Wirten Verzeichnisse über die übenachtenden Personen zu führen wurden anscheinend nicht mehr so genau geführt. Am 5. 5. 1873 muß Stadtschultheiß Bracher die Wirte rügen, daß sie die Nachtbücher dem Polizeidiener nicht abgeben. In Zukunft haben sie demselben eine Ganggebühr zu bezahlen, und bei Wiederholungen Strafe zu gewärtigen. Das Dokument wurde unterschrieben von Necker zur Linde, Kayser zum Rößle, Mayer zur Krone, Eisenhardt zum Lamm.
Etwa zehn Jahre nach der Gründung des TSV Waldenbuch 1891 e.V. nahm der Verein den Bau einer eigenen Turnhalle in Angriff. Seine eigenen Mittel waren hierzu aber viel zu bescheiden, so daß die Turner bei der Gemeinde um Unterstützung nachsuchten. Am 1. Februar 1902 richteten sie eine Eingabe an die bürgerlichen Kollegien, in der sie um Überlassung eines entsprechend großen Grundstücks baten. Schultheiß Bracher empfahl dem Gemeinderat und Bürgerausschuß, dieses Gesuch zu bewilligen, da “die Schaffung eines genügend großen Raumes für den hiesigen Turnverein zur Abhaltung seiner Turnübungen und Versammlungen, sowie Aufbewahrung der Turngeräte als eine unbedingte Notwendigkeit anerkannt werden muß”. Daraufhin beschloß die Gemeindeleitung am 19. Mai 1902, dem Turnverein auf Gemeindeeigentum ein 96 Quadratmeter großes Gelände zur Erbauung einer Turnhalle leihweise zu überlassen. Der Verein seinerseits mußte sich verpflichten, die entstehenden Räume der Schule für den Turnunterricht und der Gemeinde für etwaige Versammlungen unentgeltlich zu überlassen.
Quellen:
Anne Lipp, Andreas Schmauder: Ein Jahrhundert Leben in Waldenbuch, Stuttgart 1996
Richard Reichert: Die Chronik der Stadt Waldenbuch, Waldenbuch 1962
Stadtarchiv Leinfelden-Echterdingen