Arrestzelle im Schloss

Waldenbucher Gastfreundschaft: Die Arrestzelle im Schloss

Bis in die frühen 1950er Jahre passierten immer wieder Reisende ohne Reisekasse die Schönbuchstadt. Wie mit ihnen umzugehen sei, wurde im April 1950 in einer Sitzung des Gemeinderats besprochen. Hier der Auszug des Protokolls vom 11.4.1950 aus dem Waldenbucher Stadtarchiv:

Vergittertes Fenster hinter dem vermutlich die Arrestzelle war.

„BM Blümlein berichtet über mittellose Wanderer, die hin und wieder in Waldenbuch Quartier suchen, aber eine Übernachtung in der Gastronomie nicht bezahlen können. Er schlägt vor, die Arrestzelle im Schloss zu einer Übernachtungsmöglichkeit einzurichten. Weiter schlägt er vor, gleichzeitig einen Sägebock und eine Säge zu beschaffen, die zusammen mit Holz vor der Arrestzelle deponiert werden. Dann können die Übernachtungsgäste in der Frühe ein paar Scheite Holz absägen, erhalten dafür einen Gutschein von 0,20 DM von der Stadtkasse, einzulösen bei den örtlichen Bäckereien für ein paar Brötchen, die als Frühstück und Wegzehrung dienen.“

Der Schloßberg in Waldenbuch, Quelle: Otto Springer, Geschichte der altwürttembergischen Landstadt Waldenbuch, Stuttgart 1912, S. 30.

Die vermeintlichen „Wanderer“ betrieben allerdings bei Leiben keine Freizeitgestaltung, sondern waren entlassene Kriegsgefangene oder Flüchtlinge auf dem Weg in die Heimat. Manche suchten auch ihre Angehörigen. Die Reisenden waren oft mittellos, konnten sich keine Fahrten mit Verkehrsmitteln leisten (die häufig ohnehin nicht fuhren) und kaum Verpflegung erwerben. Sie übernachteten in der Regel in Scheunen und Schuppen oder unter freiem Himmel und baten die Bauern um Nahrungsmittel.

Der Waldenbucher Bürgermeister Blümlein wollte mit seiner Idee diesen Entwurzelten ein Dach über dem Kopf bieten. Er ließ also die ehemalige Arrestzelle im „Blockhaus“ mit Glasscheiben und einfacher Inneneinrichtung versehen, damit die Unterkommenden dort geschützt ruhen konnten. Die Sägearbeit ermöglichte diesen Leuten das Gefühl einer Gegenleistung für die Gastfreundschaft. Sie erhielten keine Almosen, sondern hatten sich ihre Unterkunft und die geringe Verpflegung erarbeitet. Das Geld blieb in Waldenbuch, denn die eigenen Bäcker am Ort wurden unterstützt.

Quelle: Gemeinderatsprotokolle Waldenbuch Band 502 im Archiv der Stadt.

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