Die historische Gaststätte und ehemalige Brauerei wurde 1930 von dem Bempflinger Küfermeister Georg Widmaier gekauft und ist seitdem ein Familienbetrieb. 1936 wurde diese um eine Mosterei und 1980 um eine Brennerei erweitert. Bis zur Schließung der Gaststätte 2012 war sie das verlängerte Wohnzimmer in dem sich die Menschen aus Waldenbuch und der näheren Umgebung trafen.
Inhalt
Mit einer Brauerei fing alles an
Der Ursprung der historischen Brauerei auf dem Weiler Berg ist nicht völlig geklärt. Der erste bekannte Eintrag stammt aus dem Jahr 1867 und betrifft den Bierbrauer Hermann Julius Mehl, Bürger von Waldenbuch, der im Jägerhaus eine Brauerei betrieb.
In den folgenden drei Jahrzehnten versuchten insgesamt sechs Bierbrauer auf dem Weiler Berg nacheinander mehr oder weniger ihr Glück.
1900 kaufte schließlich Jakob Friedrich (Fritz) Wurster (1876-1950) aus Grafenberg bei Metzingen die Brauerei und die zugehörige Gaststätte aus der Konkursmasse des Vorbesitzers Johannes Schempp. In dem “Gesuch um Erlaubnis zum Wirtschaftsbetrieb” von 1900 machte Wurster u. a. folgende Angaben: Waldenbuch hat ca. 1.800 Einwohner. Es gibt zwölf Wirtschaften einschließlich Glashütte. Das Jägerhaus hat folgende Räumlichkeiten: 1 Wirtschaftszimmer und 1 Nebenzimmer im Parterre sowie zeitweise 1 Zimmer im oberen Stock. Alle Zimmer haben eine Höhe von 2,35 m. Drei Keller sind vorhanden. Ein besonderer Abtritt (= Toilette) ist vorhanden und entspricht den Anforderungen. Für die Unterbringung von Pferden gibt es eine Stallung. Zwei Zimmer zur Beherbergung von Fremden ist vorhanden.
Die kleine Brauerei hatte keine eigene Quelle, Sie bezog das Brauwasser über eine unterirdische Leitung vom Lindenbrunnen, der bis heute unmittelbar auf der anderen Straßenseite liegt. Das Bierbrauen wurde am Weiler Berg 1920 eingestellt, die Brauerei aufgelassen und der Braubetrieb nie wieder aufgenommen. 1928 zog der damalige Inhaber Fritz Wurster nach Weil der Stadt und übernahm dort die Brauerei und das Gasthaus “Zum Ochsen”.
Die erste Generation: Georg Widmaier – Küfer, Kellermeister und Wirt
Ca. 1925 gab es in Bempflingen eine Mechanische Küferei und Weinhandlung des Küfermeisters Georg Widmaier. Dieser kaufte 1930 von Fritz Wurster das Grundstück in der Weilerbergstraße und betrieb als Küfer dort die Herstellung von Fässern sowie zusammen mit seiner Frau Maria die Gaststätte „Jägerhaus“. Als die Nachfrage nach Holzfässern immer mehr zurückging, wurde 1936/37 zusätzlich zum bestehenden Betrieb eine Mosterei errichtet, diese im Dritten Reich auch finanziell gefördert wurde. Es wurde eine hydraulische Presse angeschafft, die die Arbeit wesentlich erleichterte. Dennoch musste die ganze Familie beim Mosten mitanpacken. Die damals gegründete Mosterei besteht bis heute in der vierten Generation.
Unter der Wirtin Maria Widmaier gab es im Jägerhaus keinen Ruhetag. Das Lokal war das verlängerte Wohnzimmer in dem sich die Menschen aus der näheren Umgebung trafen (ganz im Sinne der englischen Pubs, als Public House). Auch das Familienleben spielte sich weitgehend in der Gastwirtschaft ab. Jeder musste mit anpacken. Es gab warme Speisen und natürlich Getränke. Leute, die keine Familie hatten, kamen am Heiligabend ins Jägerhaus, um zusammen mit der Wirtsfamilie Weihnachten zu feiern.
Neben der Mosterei wurde am Weiler Berg auch mit Wein gehandelt. Dieser wurde genau wie Most in kleine Fässer abgefüllt (20-30 Liter) und an andere Gastwirtschaften geliefert. Man ging auch auf das Cannstatter Volksfest, um Holzfässer zu verkaufen.
Im Dritten Reich wurden die Parteiversammlungen der örtlichen NSDAP, dessen Mitglied der Wirt Georg war, in der Wirtschaft abgehalten. Seine beiden Söhne, Gerhard und Walter, waren Soldaten der Wehrmacht und bis zum Ende des Krieges zunächst vermisst.
Infolge eines Schlaganfalls gesundheitlich stark angeschlagen, konnten Georg und seine Frau Maria das Geschäft nicht weiter betreiben. Das Jägerhaus wurde am 24. Dezember 1945 geschlossen. 1946 wurden der Gastraum und ein weiteres Zimmer für die Unterbringung von Heimatvertriebenen beschlagnahmt.
Im Dezember 1946 schreibt Georg Widmair in einem Brief an seinen in Gefangenschaft befindlichen 24jährigen Sohn Gerhard: “Waldenbuch hat 1.000 Neubürger. Wir selbst haben neun Stück im Haus. Vier Serben und fünf Ungarn mit fünf Kindern von zwei bis sieben Jahre alt, die zum Teil nicht deutsch sprechen können.” Erst 1950 konnten die letzten fünf Personen anderweitig untergebracht werden. Nach der Entnazifizierung aufgrund der Rolle als Mitläufer wurde die Gastwirtschaft 1948 wieder eröffnet.
Die Nachkriegszeit war für die Familie und das Unternehmen durch Lieferprobleme von Obst und anderen Rohstoffen geprägt. Außerdem hatte man keinen Lieferwagen. Der ursprünglich im Einsatz gewesenen Mercedes-Benz Lieferwagen, hatten die Franzosen 1945 konfisziert. Nachforschungen über dessen Verbleib blieben erfolglos. In seiner Not schrieb Georg 1948 an das Landratsamt Böblingen, ihm bei der Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs behilflich zu sein, da er sein Geschäft sonst nicht mehr ausführen konnte.
1957 starb Georg Widmaier im Alter von 65 Jahren. Seine Frau Maria folgte ihm 13 Jahre später 1970 mit 76 Jahren.
Die zweite Generation: Gerhard Widmaier – Küfer, Moster und Brenner
Gerhard Widmaier wurde 1941 mitten im 2. Weltkrieg im Alter von 19 Jahren zur Wehrmacht eingezogen. An seinem 27. Geburtstag, am 20. Oktober 1949, kam er als kranker Mann aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause.
Und doch lief der Betrieb der Gastwirtschaft weiter. Deren Gäste kamen meistens aus der näheren Umgebung, vom Weilerberg z. B. Flüchtlinge vom Esel und tranken Ihren Schoppen Wein oder Most. Es gab auch Gäste, die ihre Zeche anschreiben ließen. Auswärtigen Besucher gab es wenige, da es damals keine Busverbindungen auf der Schönbuchlichtung gab. Vereine, wie z. B. der Schützenverein, den Gerhard mitgegründet hatte, trafen sich in der Wirtschaft. Gerhard führte den Dienstag, als “Ruhetag” ein, dieser bot allerdings keine Zeit zum Innehalten, sondern wurde zum Abfüllen von Süßmost verwendet.
Der ansässige Ordnungshüter kam jeden Tag vorbei, um die Einhaltung der Polizeistunde um Mitternacht zu überprüfen. Polizeimeister Erich Kostorz (1914-1975) drehte dafür regelmäßig seine Lokalrunde und sagte dann: „Ich komme dann später“. Er hängte schließlich seine Koppel mit Pistole an den Haken, setzte sich mit an den Tisch und trank fleißig mit den anderen Gästen.
Es wurde Karten gespielt, Binokel und Gaigel. Waltraud, die Tochter der Wirtsleute, lernte in dieser Zeit das Kartenspielen und Lumpenliedle vom Schmied Fritz Nagel. Wenn sie aus der Schule kam, habe sie ab und zu mit den Gästen gaigeln müssen, so die Geschichte.
Sonntagabend tagte der Stammtisch aus der Nachbarschaft. Es wurde Wein getrunken, gevespert und viel gesungen. Die wirtschaftliche Grundlage des Betriebs waren die Mosterei als Saisongeschäft sowie der Saftverkauf. Die regelmäßigen Einnahmen lieferte die Gastwirtschaft.
1971 wurde das Gebäude schließlich umgebaut. Auf das Erdgeschoss mit der Gastwirtschaft wurden zwei Stockwerke aufgesetzt und ein Dachgeschoss neu gebaut. Im 1. Stock lag die eigene Wohnung der Wirtsfamilie. Im 2. Stock und dem DG gab es Mietswohnungen.
Die dritte Generation: Theodor Widmaier – Konfektmacher, Brenner und Wirt
Theodor Pfannenschwarz war Konfektmacher bei Ritter, wo er Schokolade und Pralinen größtenteils manuell herstellte. Bei Ritter hat er diesen Beruf erlernt und 33,5 Jahre dort ausgeübt. Theodor war 32 Jahre und die Tochter des bisherigen Wirtsehepaars Waltraud 21 Jahre alt, als die beiden heirateten. Theodor arbeitete zunächst weiter bei Ritter. Als Waltrauds Mutter Ruth jedoch 1987 plötzlich im Alter von 59 Jahren verstarb, übernahmen Waltraud und ihr Mann das Geschäft. Waltraud musste als einziges Kind sowie immer mit anpacken und kannte sich aus. Es wurde auch nicht gefragt ob sie in den Familenbetrieb einsteigen wollte, oder nicht. Bis heute stellt sich für Waltraud die Frage, ob es vielleicht ein Fehler war, dass Theodor seine gute Stellung bei Ritter aufgegeben hat und ins Geschäft der Widmaiers eingestiegen ist.
Auf Anregung von Gerhard Ruckh, einem Freund der Familie, wurde von Karl Müller (Lamm Brauerei) 1980 das alte Brennrecht gekauft, bevor es verfiel. Am Weiler Berg wurde eine neue Schnapsbrennerei eingerichtet und die Keller ausgebaut. Da Theodor zunächst noch weiter bei Ritter tätig war, wurde die Brennerei von Gerhard Widmaier nebenberuflich betrieben, obwohl er das eigentlich nicht mehr wollte. Theodor kümmerte sich nur samstags um die Brennerei. Waltraud wollte eigentlich nie eine Gastwirtschaft haben. Im Betrieb aufgewachsen wusste sie: Man hatte nie frei. Und doch hat sie das Lokal später gerne geführt und war eine beliebte Wirtin. Ihre Gäste waren immer zufrieden.
Besonders Waltrauds Rostbraten erfreute sich großer Beliebtheit Doch wie kam es dazu? Freitagabends gingen die Kartenspieler ,#alle in die gegenüberliegende Linde zur Wirtin Rosel Staiger, um dort Rostbraten zu essen. Anschließend ging es zurück ins Jägerhaus und es wurde weiter Karten gespielt. Um sich diesen Weg zu sparen, forderten sie die Wirtin auf: „Du musst lernen, wie man einen guten Rostbraten macht“. Also ging Waltraud mit den Gästen rüber in die Linde, um Rostbraten zu essen und Rosels fettgeröstete Zwiebeln zu kosten. Ab da bot sie im Jägerhaus Rostbraten an. Daneben gab es Schnitzel, Bratwürste, und manchmal auch Krustenbraten und Schlachtplatte. Dazu wurde viel Kartoffelsalat gemacht. Es gab eine kleine Speisekarte mit fünf bis sechs Gerichten sowie Wurstsalat, Hausmacher Vesper, Ochsenmaulsalat.
Das musste reichen. Jeden Freitagabend hatte die Wirtin Gäste und da gab es „Schnitzele“. Wer aufmerksam zuhört, hört es heute noch bei seinem Weg ins Städtle: „jetzt hätt ich gern a Schnitzele“. Im Jägerhaus wurde alles frisch zubereitet, nichts aus der Dose mit Ausnahme von Bohnensalat im Winter.
Eigentlich wollten wir schon früher das Lokal schließen. Doch die Mittwochswanderer wollten aber noch einmal unbedingt Bohnenkern haben, so wurde im Mai 2012 das Jägerhaus letztmals geöffnet und es gab Bohnenkern. Ich bin jetzt froh, dass diese Zeit vorüber ist.
In der Gaststätte und dem zugehörigen Betrieb war es immer sehr hektisch. Waltraud erinnert sich: „Wenn andere Feierabend hatten, habe ich nochmal Gas geben müssen. Es ging von morgens um sechs bis Mitternacht oder nachts um eins. Teilweise sogar bis in den frühen morgen um drei oder vier Uhr,“ Oft habe sie nur drei bis vier Stunden geschlafen.
Heute hilft die tüchtige Seniorin ihrem Sohn immer noch im Geschäft .– beim Schnaps abfüllen, da er „das alles nicht alleine kann“, so die Mutter. Auch wenn der heutige Chef Aushilfen hat, ist Waltrauds Hilfe im Betrieb immer noch gefragt. Sie weiß: “Es gibt so viele Kleinigkeiten“. Ein so großes Haus macht viel Arbeit.
Mit anderen Wirtsleuten in Waldenbuch hatte man schon damals guten Kontakt: z. B. mit Familie Wagner (Krone) oder Familie Staiger (Linde), Wenn Brauereien die Preise erhöhten, dann wurden die Anpassungen miteinander besprochen.
Zum Bedauern der vielen Stammgäste kam im Mai 2012 das überraschende Ende der Gaststätte Jägerhaus. Die viele Arbeit als Wirtin des Gasthauses wie auch die Mithilfe in der Mosterei waren für Waltraud mittlerweile zu einer großen Belastung geworden. Freizeit gab es für sie kaum. Eine ganze Woche lang wurde mit den Gästen der Abschied aus einer Ära gefeiert. Die ruhigere Zeit nach der Schließung des Lokals konnte sie leider nur kurz mit Ihrem Ehemann genießen. Von diesem musste sie schon ein Jahr später Abschied nehmen, Theodor verstarb 2013 im Alter von 73 Jahren.
Die vierte Generation: Theodor (Theo) Pfannenschwarz – Moster und Brenner
Nach seiner Ausbildung zum Kellermeister unterstützte Theo seinen Vater im Geschäft. Theo erweiterte das Saftsortiment von bisher zwei auf 18 Produkte. 2004 wurde eine neue Presse angeschafft und die Abfüllanlage modernisiert.
Die Firma Widmaier Fruchtsäfte ist im Wesentlichen tätig mit der Herstellung und dem Verkauf von Säften, Nektar und Most. Daneben betreibt Theo eine Mosterei sowie die Brennerei. Die Mosterei verarbeitet das von privaten Obstlieferanten angelieferte Obst zu Saft (Lohnmosterei).
Die Brennerei wurde 1980 eingerichtet, als die Brennrechte von der ehemaligen Waldenbucher Lamm-Brauerei erworben wurden. Gebrannt wird einerseits die angelieferte Maische von Stoffbesitzern (Lohnbrennen),andererseits wird eigene Maische verarbeitet. Die Edelbrände werden auch direkt verkauft. Die neueste Aktivität ist Herstellung des Trendgetränks Gin.
Claudia Barner verfasste schon im Jahr 2020 einen Artikel über Theos schönbuch gin aus Waldenbuch, den ich hier ausschnittsweise wiedergebe: “Zwei Jahre lang hat der 40-jährige Getränketechnologe am Rezept für seinen Gin getüftelt. Seit August 2019 ist die kleine braune Flasche mit dem Hirsch auf dem Etikett im Handel. „Wir haben so viel Herzblut in die Entwicklung dieses Gins gesteckt. Jetzt wollen wir mal wissen, was die Fachleute sagen“, erzählt Theo Pfannenschwarz. „Wir wollten einen einzigartigen Gin mit einem eigenen Charakter schaffen. Das ist uns gelungen“, ist er sich sicher.
Deshalb nahm er 2021 mit seinem schönbuch gin an der Landesprämierung des Landesverband der Klein- und Obstbrenner Nord-Württemberg e.V. teil. Zusammen mit dem Gin von 15 anderen Brennern wurde sein Gin als “Gin des Jahres” prämiert. Dieser Landeswettbewerb ist eine der größten Prämierungen von Destillaten und Likören in 2021 weltweit. Dies ist der Lohn für die viele Arbeit im Vorfeld und der Destillation dieses Produkts. Die Vermarktung erfolgt im Direktverkauf oder den Online-Shop.
Die Wirte und Pächter des Jägerhaus (Brauerei und Gaststätte)
2012 | Schliessung der Gaststätte, Weiterbetrieb von Mosterei und Brennerei |
1971 | Gerhard Widmaier |
1965 | Maria Widmaier |
1948 | Georg Widmaier |
1945-1947 | Geschlossen |
1945 | Georg Widmaier |
1930 | Georg Widmaier |
1929 | Friedrich Katzmaier |
1900 | Jakob Friedrich Wurster |
1888 | Johannes Schempp |
1886 | Friedrich Kohler |
1885 | Caspar Kohler |
1884 | Witwe Maria Mahl |
1876 | Carl Mahl |
1870 | Carl Gottlob Bauer |
1867 | Hermann Julius Mehl |
Mein Dank an Dr. Ulrike Felger für das Redigieren des Berichts.
Wolfgang Härtel im Februar 2022