Einziger Gewerbebetrieb der Liebenau – in vierter Generation – weicht Wohnbebauung in 2022
Die Siedlung Liebenau – gebaut in den 1920er Jahren
Stadtschultheiss Christian Fischer (1879-1948) unternahm in seiner Amtszeit bis 1933 Vieles um Waldenbuch für die Ansiedlung von Menschen, Handel, Gewerbe und Industrie attraktiv zu machen. Die Siedlung Liebenau sollte dabei eine Wohngegend insbesondere für “pensionierte Geistliche, Lehrer Schriftsteller, Industrieleute, Auslandsdeutsche, Postbeamte und diverse freie Berufe” werden. Besonders niedrig gehaltene Bodenpreise und die Leistungsfähigkeit des örtlichen Handels und Gewerbe, sowie die bestehende Infrastruktur, stellte er besonders heraus. Nicht zuletzt der bereits 1919 begonnene Bau der 1928 eingeweihten Eisenbahnlinie Leinfelden-Waldenbuch machte Waldenbuch auch für die Wirtschaft zu einem interessanten Standort.
So fing alles an
Albert Fegert (1871-1942) aus Talheim bei Heilbronn, pachtete 1921 im Alter von 50 Jahren in Waldenbuch den Gasthof Burkhardtsmühle, den er bereits nach einem Jahr Wirt wieder aufgab. Der gelernte Drechsler besann sich auf seine Talente und gründete in den 1920er Jahren eine Schreinerei. Es war eines der ersten Gebäude in der Liebenau.
Im Hintergrund des Bildes das Wohnhaus und Lagerschuppen des Firmengründers Albert Feger in der Liebenau, Am Waldrand 1-3. In den Anfangsjahren befand sich die Werkstatt nochim Haus. Es wurde bis in die 1990iger Jahre von der Familie bewohnt.
Da sein Sohn Erwin Georg im 1. Weltkrieg gefallen war, übernahm Karl Raith das Geschäft, der ein Metallhandwerk erlernt hatte. Nach der Heirat mit Fegert’s Tochter, Elsa, ist er in den Betrieb seines Schwiegervaters eingetreten und hat diesen nach Albert Fegert’s Tod weitergeführt.
Albert Fegert’s Neffe, Erwin Schick (1924-2018), absolvierte eine Schreinerlehre bei Orgelbau Friedrich Weigle in Echterdingen und arbeite danach bei seinem Onkel in der Schreinerei die er dann nach der 1959 erworbenen Meisterprüfung im Jahre 1963 übernahm. Das als Einzelfirma geführte Unternehmen firmierte ab jetzt unter “SCHICK Technische Holzwaren”.
Von der Drechslerei zum Zulieferer von Industrie und Handwerk
Aus der ursprünglichen Drechslerei wurde dann relativ schnell eine Serienfertigung für Holzartikel aus Massivholz. SCHICK war kein klassischer Schreiner für Privatkunden, weshalb er in Waldenbuch relativ unbekannt war. Wichtigstes Standbein war damals die Fertigung von BOSCH Batteriekästen aus Holz für LKWs sowie Karteikästen für die Buchhaltung für die Fa. Taylorix (Anfänge der EDV-Buchhaltung) in den 1950er bis 1960er Jahren.
Für einen Küchenhersteller in einer Nachbargemeinde fertigte man serienweise Massivholzschubladen und später auch Küchenfronten sowie weitere Zubehörteile für die Küchen. Gebrauchsgegenstände wurde nie hergestellt, man betrachtete sich immer als Zulieferer der Industrie und des Handwerks. Konstruktionsunterlagen wurden archiviert und standen den Kunden ggf. später zur Verfügung. Man hatte einen Fundus der bis in die 1940er Jahre zurückreichte.
Die Ära Schick
Am 1.1. 1988 übergab Erwin Schick seinem Sohn Ulrich Schick die Geschäfte der Firma der u.a. – wie schon sein Vater – in einen modernen Machinenpark sowie in einen größeren Anbau investierte. Durch den frühen Einsatz von CNC-Maschinen konnten Werkstücke mit hoher Präzision auch für komplexe Formen automatisch hergestellt werden.
Die Produktion wurde im Laufe der Jahre ständig umgestellt und erweitert, entsprechend den Wünschen und Anforderungen der jeweiligen Kunden. Es wurden neue Geschäftsfelder, wie die Herstellung von aufwendigen Lautsprechergehäusen und die Fertigung von Teilen für Ladeneinrichtungen sowie Artikel für die Werbebranche und den Messebau erschlossen. Auch für die immer mehr aufkommenden alternativen Schreinereien war man Partner für die in kleineren Serien benötigten Massivholzschubkästen und anderen Möbelteilen mit biologischen Oberflächen.
Andere Produkte die z.T. jahrzehntelang hergestellt wurden wie beispielsweise Aufbewahrungs- und Verpackungskisten für hochwertige technische Geräte oder Geld- und Dokumenteneinsätze für Sicherheitsschleusen fielen dem technologischen Fortschritt oder dem Sparzwang der Kundschaft zum Opfer. Am Anfang hatte Albert Fegert maximal 2 Helfer, Erwin Schick 4-5 Mitarbeiter. Als die Geschäfte gut gingen hatte man regelmäßig 6-7 Mitarbeiter und auch Lehrlinge. Anfang 2000, als die Geschäfte rückläufig waren, wurden auch die Mitarbeiter wieder reduziert.
Das Ende der Firma
Als es immer klarer wurde, dass sich keine Nachfolge in der Familie oder auch betriebsintern finden würde, wurden nach ca. 2010, keine nennenswerten Investitionen oder Neueinstellungen mehr getätigt und so die Belegschaft sukzessive verkleinert. Nachdem sich für das Unternehmen weder ein Interessent für die Pacht, noch für den Kauf finden ließ, wurde die Firma zum 1. Februar 2020 aufgelöst. Das Betriebsgelände wurde verkauft und ist für eine Wohnbebauung vorgesehen. Hier der Bebauungsplan vom 12. Juni 2022 für dieses neue Baugebiet “Liebenaustraße / Am Waldrand” auf der Homepage der Stadt Waldenbuch:
Das Ende nach 100 Jahren
Wolfgang Härtel – im November 2022