Die Waldenbucher “Boten” Tritt und Necker

um 1890. Geschäftiger Fuhr- und Botenverkehr in der Hauptstätter Strasse von Stuttgart. Foto: Stadtarchiv Stuttgart.

Pferdefuhrwerke beherrschten um 1900 das Straßenbild. Sie dienten dem gesamten Warenverkehr. Ohne sie wären Handel und Gewerbe gar nicht möglich gewesen. Die Boten auf den Fildern versorgten damals die Menschen in Stuttgart
täglich u. a. mit frischen Lebensmitteln. Zwei Waldenbucher Familien betrieben dieses Geschäft bis in die 1960er Jahre.

A. Der Bote Tritt – Die Entschleunigung auf dem Kutschbock

2014. Wolfgang Tritt’s Stadtrundfahrt mit Felix           Foto W. Härtel

“Sonntagmorgens liegt Ruhe über der Waldenbucher Altstadt. Der hektische Alltag hat Pause. Die Ausflügler, die zur Mittagszeit die historische Innenstadt mit ihrem Stimmengewirr bevölkern werden, drehen sich gerade noch einmal in ihren Betten um. Ein stiller Moment – wie geschaffen für einen Ausflug in die Vergangenheit.

Vor einer Scheune im Neuen Weg steht ein Pferdegespann. Der Kaltblüter Felix schnaubt Atemwolken in die kalte Morgenluft. Auf dem Kutschbock sitzt Gärtnermeister Wolfgang Tritt. “Fahren wir eine Runde”, lädt er ein und lockert die Zügel. Der harte Klang der eisenbeschlagenen Hufe hallt vom Pflaster wider und bricht sich an den alten Fachwerkmauern. So ähnlich mag es geklungen haben, als der Waldenbucher Bote Jakob Tritt vor knapp 100 Jahren mit seinem Pferde-Fuhrwerk gen Stuttgart fuhr. Urenkel Wolfgang haucht den alten Traditionen nun wieder Leben ein.” (Claudia Barner/Filder-Zeitung)

Jakob Tritt (1881 – 1959)

Jakob Tritt

Der Landwirt aus Holzgerlingen, heiratete 1906 Christiane (Nane) Ruckh aus Holzgerlingen und zog nach Waldenbuch. Er war der erste Waldenbucher Bote, der mit seinem Pferdefuhrwerk zweimal pro Woche zwischen Waldenbuch und dem Waren-Umschlagsplatz in der Hauptstätter Straße in Stuttgart pendelte. Jakob sicherte damit einst das Familieneinkommen. Eine mühsame Tätigkeit, denn der Wagen war mitunter schwer beladen. Es existierte ein reger Handel. Frühmorgens füllte Jakob den Anhänger mit Milchkannen, den Waren der Waldenbucher Korbmacher oder mit Mostfässern für die Handwerker und Arbeiter, die die Woche über in Stuttgart lebten. Am Abend kehrte er mit Sandsteinen fürs Forsthaus, Papier für den Buchbinder, Eisen für die Firma Neff oder Lebensmitteln wieder zurück. Wenn noch Platz war, nahm er auch Personen mit.

1940. Haus Tritt. v.l. Jakob Tritt, unbekannt, Siegfried Tritt. Foto:

Ein wichtiges Produkt war dabei die Milch, die in Kannen zu Stuttgarter Milchläden gebracht wurden. Es gab noch keinen Kühlschrank, deshalb musste die Milch bis spätestens 10:00 Uhr verkauft worden sein.

Mit der zunehmenden Motorisierung wurden die Pferdetouren unrentabel. Jakob Tritt sattelte um.

In den 1920er Jahren kamen Lkw auf den Markt. Jakob fuhr den ersten Lkw in Waldenbuch, der noch Vollgummireifen hatte. Die ehemaligen Ställe dienten als Garagen für die Lastwagen. Das Fuhrgeschäft wurde von Sohn Jakob Friedrich zusammen mit seinem Bruder Ernst und später vom Enkel Siegfried Jakob weitergeführt. Mit dem Lkw erschloss man sich auch ein weiteres Geschäftsfeld. So wurden auch Personen befördert z.B. für Ausflugsfahrten bei Betriebsausflügen.

um 1930. An Wochenenden bot Jakob Tritt auch Ausflugsfahrten an.

Jakob Friedrich Tritt (1881 – 1959) und Ernst Tritt (1912 – 1944)

Die Wirren des 2. Weltkrieges setzten der Familie und dem Geschäft sehr zu. Jakob Friedrich und sein Bruder Ernst wurden gemeinsam zur Wehrmacht einberufen, wo sie als Wehrmachtsangehörige mit ihren eigenen Lkw Transporte der Wehrmacht durchführten. Auch Jakobs Pferde wurden konfisziert, so dass das Fuhrgeschäft bis Kriegsende 1945 zum Stillstand kam. Die Lkw wurden nicht mehr gesehen! Ernst gilt seit 1944 als vermisst in Russland. Jakob gab zu erkennen, daß er mit dem Fuhrgeschäft nichts mehr zu tun haben wollte. Man ging damals immer noch davon aus, dass Ernst auch vom Krieg zurückkehrt. Aber trotz intensiver Suche ist sein Schicksal bis heute leider ungeklärt.

Ein neuer Lkw wird bei MAN in München übernommen. v.l.: Jakob Friedrich Tritt, Siegfried Tritt, Jakob Tritt und ein Mitarbeiter von MAN München.

Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg führte Jakob Friedrich das Geschäft zunächst allein fort. Die Anschaffung neuer Lkw erfordete hohe Investitionen. Er musste bei Banken um Geld bitten, da er keinerlei Sicherheiten bieten konnte. Schließlich erhielt er von der Waldenbucher Darlehenskasse das notwendige Geld um neue Fahrzeuge zu kaufen. Allerdings wurden die Lkws ohne Reifen ausgeliefert, da sie nicht lieferbar waren. Gebrauchte Fahrzeuge und Reifen gab es nicht, da alles durch den Krieg zerstört war. Also musste gewartet werden bis Reifen verfügbar waren.

Es kamen allmählich wieder Aufträge. Fracht war z. B. Wein, Bier, Schmieröl. Alles Einzelaufträge, ohne dass man leer und ohne Auftrag zurück nach Waldenbuch fahren zu müssen.Die Lieferbedingungen waren nicht einfach. Der Kunde erwartete, dass man zu einer festgelegten Uhrzeit z.B. auf seinem Hof in Frankfurt bereitstand. Das bedeutete, daß man bei Nacht und Nebel losfuhr, ohne zu wissen, ob es auch eine Fracht für die Rückfahrt oder eine Leerfahrt gab. Damals war die Kommunikation mit den Kunden sehr schwierig. Es gab keinen eigenen Telefonanschluss. Das Telefon vom Schreiner Landenberger konnte mitbenutzt werden. Aber von unterwegs war ein Rückruf schlecht möglich. Dadurch gingen einzelne Aufträge verloren. Teilweise war man mit dem Lkw mehrere Tage unterwegs ohne Kontakt nach Waldenbuch zu haben. Übernachtet wurde nicht in einem Hotel, sondern auf der Ladefläche (Pritsche) im Schlafsack. Man versuchte möglichst starke Steigungen zu vermeiden, da die voll beladenen Fahrzeuge untermotorisiert waren. Bergauf bildeten sich Schlagen von Lkw die nicht schneller als ca. 10 km/h fahren konnten. Überholen war wegen fehlender Leistung nicht möglich. Von MAN bekam Jakob Friedrich eine Goldmedaille für eine 500.000 km Fahrleistung ohne Reparatur.

Siegfried Ernst Tritt (1935 – 1978)

Der letzte Lkw von Tritt. Man ist Werbung gefahren für Ritter. Sie wurde nicht von Ritter bezahlt. Es sollte Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, dass man Aufträge von Ritter bekam.

Das änderte sich, als die Fa. Ritter von Bad-Cannstatt nach Waldenbuch kam. Die Transportaufträge waren jetzt planbar, was ein Segen für da Geschäft bedeutete. Leerfahrten gab es weniger. Man transportierte u.a. Zucker, Schokolade, Kakaobutter. Im Laufe der Jahre waren die Lkw immer mehr ausgelastet, besonders wegen der Aufträge von Ritter. Man konnte jetzt auch samstags die Fahrzeuge beladen, um montags in aller Frühe die Fahrt aufzunehmen. Das Be-und Abladen war damals Sache der Fahrer! Andererseits musste man sich ja samstags auch um die Landwirtschaft kümmern. Das bedeutete Stress. Von Ausruhen war nicht die Rede!

Durch Veränderungen der Beschaffung bei Ritter. So sollte Zucker, bisher mit normalen Lkw, künftig in Silowagen geliefert werden. Das läutete das Ende der Firma Tritt ein, da die Investition in Silowagen sich nicht mehr rentiert hätte. Außerdem hatte Siegfried auch zunehmend gesundheitliche Probleme. Man suchte aber nach neuen Aufträgen und fragte die Kunden ob sie eine Fuhre hatten. Es war eine Bettelei. Außerdem unterbot uns die Deutsche Bahn regelmässig mit günstigeren Tarifen um ihre eigene Lkw auszulasten.

Jakob Friedrichs ältester Sohn Siegfried war noch einige Jahre im Transportgeschäft seines Vaters tätig, wechselte aber später als Fahrer zu Fa. Ritter, da das Geschäft nicht genug einbrachte um zwei Familien zu ernähren. Es kam was kommen musste. Im Alter von 59 Jahren verstarb Jakob Friedrich 1966 an einem Herzinfarkt. Das war das Ende der Firma, die noch bis ca. 1959 von Siegfried weitergeführt wurde. Es blieb nur die Arbeit in der Landwirtschaft und die Saisonarbeit bei Ritter.

1940. Jakob Tritt (rechts) mit Helfern bei der Getreideernte

Jakob kümmerte sich mittlerweile überwiegend um seinen landwirtschaftlichen Betrieb, war aber nach wie vor der Chef! Kohle wurde immer noch vom Jakob transportiert. Er holte das Schüttgut bis in die 1950er Jahre vom Bahnhof in Waldenbuch ab und verteilte es an seine Kunden. So wurde auch Hermann Binder beliefert, der neben seinem Kolonialwarenladen auch einen Kohlehandel hatte. Dort wurde die Kohle in einem Lager abgekippt und in 50 kg schwere Jutesäcke umgefüllt die dann zum Kunden geliefert, getragen, ausgeleert und wieder mitgenommen wurden. Nachdem der Bahnhof 1956 stillgelegt wurde, erfolgte die Lieferung der Kohle nach Waldenbuch direkt vom Großhändler per LKW.

 

Ca. 1930. Ernst Necker, mit seinem Mercedes-Benz Bus auf Ausflugsfahrt
im Schwarzwald.                                 

 

Der Bote Tritt transportierte Frachtgüter mit seinem Lkw, während der Gaiern Bot Necker überwiegend Personen mit seinen Bussen beförderte. Der Name „Gaiern Bot“ ist abgeleitet vom Stammsitz der Familie „Im Gaiern“ in Waldenbuch. Dort befand sich der Bauernhof und die Garage.

 

B. Der Gaiern Bot- Vom Rückepferd zum Omnibus

2011. Ernst Necker (1934 – 2016)                      foto: w. härtel

An einem Samstagmorgen im Mai 2011 treffe ich Ernst Necker im Gasthaus Hasenhof beim Frühschoppen. Als Sohn vom Gaiernbot Karl Necker erzählt er bei einem Bier Geschichten über die Gaiern Boten und aus seinem eigenen beruflichen Leben – Ein Leben, ohne dass er in die Fußstapfen seiner Vorfahren getreten war – er war kein Gaiern Bot mehr.

Zunächst war er in der ungeliebten Landwirtschaft tätig. Gegen seinen Willen besuchte er dann die landwirtschaftliche Schule in Hohenheim. 1952 war er für die Fa. Ritter in Waldenbuch zunächst als „Mädchen für Alles“ und als Privatchauffeur für Marta Ritter tätig. Später als LKW Fahrer zusammen mit Siegfried Tritt und schließlich Fuhrparkleiter.

Mit  kleinen Lieferwagen wurde zunächst Stuttgart, Pforzheim und Karlsruhe, dann Allgäu uind Raum Bodensee mit Schokolade beliefert. Die Fahrzeuge hatten damals noch keine Klimaanlage, so dass im Sommer z.B. während der Ruhepausen der Wagen in den Wald gefahren werden musste, um die Schokolade etwas zu kühlen. Später führten ihn seine Dienstfahrten mit dem LKW in das gesamte Bundesgebiet sowie das angrenzende Ausland. Im Jahre 1997 trat er – nach 45 Jahren als Kraftfahrer bei der Fa. Ritter – in den wohlverdienten Ruhestand.

Doch nicht genug! Ernst machte in den 1960er Jahren noch seinen Bus-Führerschein und war 30 Jahre lang nebenberuflich bis 1997 als Busfahrer für Gesellschaftsfahrten bei Fa. Briem in Bernhausen tätig. So war er doch ein bischen auch ein Gaiern Bot geblieben.

Ernst Necker, sen. (1877 – 1945) – Der erste Gaiern Bot

1938. Transport einer 6 Festmeter starken Eiche auf dem Gelände des Waldenbucher Bahnhofs. Stehend v.l. Ernst Necker (Gaiernbot).                                                   

Der erste Gaiernbot, Ernst Necker (1877 -1945), war Landwirt, der seine beiden Kaltblutpferde im Sommer für die Rückearbeit im Wald einsetzte. Die Nachfrage nach der Beförderung von Personen stieg ständig und so bot er zusätzlich Kutschfahrten
z.B. nach Stuttgart an. Mit “Lustfahrten für Gesellschaften”, mit Tagestouren und Ausflugsfahrten ließ sich gut Geld verdienen.

Als das Reisen mit Kutschen seinem Ende zuging, stellte Ernst Necker auf Busverkehr um.
Seinen ersten Mercedes-Benz Bus kaufte er 1930. Mit dem zweiten LKW mit Plane konnten auch Personen befördert werden.

Ernst Necker mit seinem ersten Bus und Sohn Karl Necker als Fahrer. 

Der zweite LKW wurde im Büssing Werk in Braunschweig abgeholt. Da auch Personen befördert werden konnten, hatte die Plane 8 Fenster. Die drei Sitzbänke für 55 Personen waren längs angebracht. In der Mitte hatte die Sitzbank eine Rückenlehne.

ca. 1925. Zweiter LKW der Firma Necker.

Karl Necker (1906 – 1979)

Ernst Neckers Sohn, Karl holte sich seinen Büssing Bus, NAG 6-Zylinder-Diesel im Werk Braunschweig ab, der lediglich aus Chassis und dem Motor und Getriebe bestand. Damit
der Lkw auf der Rückfahrt nicht abhob, wurde zur Stabilisierung eine Kiste Sand auf dem Fahrgestell befestigt. Das genügte! Die Aufbauten – mit Panoramadach – wurden später durch Karosseriebau Auwärter in Möhringen montiert.

Im Zweiten Weltkrieg wurde Karl Necker eingezogen und sein Bus von der Wehrmacht beschlagnahmt. Als Wehrmachtsangehöriger fuhr er seinen Bus ca. 4 Monate in Frankreich, Polen und anderswo. Da der Bus wieder an der Heimatfront für den Linienverkehr Neuenhaus-Stuttgart benötigt wurde, kehrte Karl 1944 mit seinem Bus nach Waldenbuch zurück. Er wurde aber von einem sog. Kettenhund (Militärpolizist) begleitet, der das Desertieren von Karl verhindern sollte. Nach einer Stunde Aufenthalt in Waldenbuch wird er von einem Militärpolizisten mit dem Motorrad wieder zurück zum Militärdienst verbracht, wo er nach Rußland an die Front kommandiert wurde. Das Busunternehmen wurde zwangsweise weitergeführt und im Linienverkehr Neuenhaus-Stuttgart eingesetzt.

Karl Necker mit seinem Büssing Bus.                     

1945. Der gestohlene Bus. 

Das Kriegsende nahte! Am 19. April 1945 fand die letzte Fahrt des Busses statt. Einen Tag später wurde Waldenbuch durch die französische Armee besetzt. Am 20. Mai 1945 übergaben die Franzosen Waldenbuch an die Amerikaner und war somit Teil der amerikanisch besetzten Zone. Zunächst wurde der Bus von den Amerikanern beschlagnahmt. Das wiederum störte die Franzosen nicht den Bus ihrerseits zu klauen. Der Bus wurde nie mehr gesehen! Da es von keiner Seite eine Entschädigung gab, war die wirtschaftliche Existenz der Familie Necker zerstört. Was blieb war der landwirtschaftliche Nebenerwerb, der die Familie in diesen harten Zeiten ernährte. Das Ende der Firma Omnibus Necker war gekommen. Der Großvater Ernst Necker, der die Firma aufgebaut hatte, verstarb 1945, sicherlich auch im Gram über das Schicksal seiner Firma.

 

Fotos: Sofern nicht anders vermerkt, stammen die Fotos aus dem Archiv W. Härtel.

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