Waldenbucher Alltag eines Kindes

„Hi ha ho, Glashütte ist k.o.!“ Kindheit, Schule und Lehrjahre in der Glashütte (1939-47)

Unser verkauftes Haus in Stuttgart-Vaihingen ist beim ersten Luftangriff total abgebrannt und wurde notdürftig wieder aufgebaut. Da waren wir froh, in der Glashütte zu sein. In der Glashütter Schule hatten wir 1938 zuerst einen jungen Lehrer, den Herrn Alfred Kohler. Er musste aber 1940 Soldat werden. Daraufhin wurde sein Schwiegervater, Herr Gottlieb Bauer, wieder aus der Pensionierung zurück geholt werden. um die Schule dann bis 1949 zu übernehmen. Herr Alfred Kohler ist leider 1942 im Krieg gefallen.

1940, Glashütter Schulklassen 1-8 vor dem Gebäude der Schule in der Glashütte. (X) Werner Soulier, (XX) Herr Gottlieb Bauer. Für eine grössere Darstellung auf das Bild klicken!

Alle 8 Klassen wurden in einem Schulzimmer unterrichtet. Insgesamt waren wir etwa 40 Schüler, in unserer Klasse 4 Buben und ein Mädchen. Vom ersten bis zum 4. Schuljahr war es die Unterklasse und ab der 5. Klasse die Oberklasse, die jeweils miteinander unterrichtet wurden.

Nach der Schule warteten vielerlei Zusatzaufgaben auf uns. Wir mussten jede Woche an einem Mittag Lumpen sammeln und an einem Mittag Brombeerblätter und Himbeerblätter, dann Kartoffelkäfer und fürs WHW (Winterhilfswerk) mit der Sammelbüchse selbstgebastelte Holzfiguren verkaufen. Ich hatte noch jeden Tag einen Karren voll Rossbollen oder Kuhdreck für den Komposthaufen zu sammeln und dann sollte man noch beimBunkerbau helfen. Die Bauern waren fast alle fort und man musste den Leuten beim Hacken und der Heu- und Getreideernte zur Hand gehen. Es gab dafür ein Brot und eine Flasche Milch, oder ein paar Eier, was sehr begehrt war.

Wenn ich eine größere Aufgabe hatte, dann halfen meine Freunde mit, dass ich früher zu meinen “Panduren“konnte. So nannten wir unsere Bande. Alle hatten einen Hut auf, an dem die eine Seite hochgeschlagen war, eben wie bei den Panduren. Wir trugen Gewehre und Säbel aus Holz und jeder hatte noch eine Schleuder und eine Pfropfpistole. Mit der Schleuder konnten wir sogar Spatzen schießen und auch Lampen am Bahnhöfle! Diese brauchte man sowieso nicht mehr, denn es war ja immer Verdunkelung und es durfte kein Licht gemacht werden.

"Pimpf" Werner Soulier als Mitglied des Deutschen Jungvolks

“Pimpf” Werner Soulier als Mitglied des Deutschen Jungvolks

An einem Sonntag kamen wir vom Dienst in Waldenbuch der Bahnlinie entlang der Glashütte zu und sahen schon von weitem eine Horde Jungen auf dem Backofen stehen und mit Stecken fuchteln. Als wir näher kamen, hörten wir sie schreien: „Hi ha ho – Glashütte ist k.o.!” Wir schlichen ins Dorf und zogen uns um und machten einige Urlauber und andere Kerle mobil und bewaffneten uns mit Prügel und allem was halt so üblich war. Wir stiegen am Friedhof den Berg hinauf und brüllten furchterregend und stürmten den Backofen und jagten die Kerle aus Plattenhardt zur Burkhardtsmühle hinunter. Da saßen sie auf einem Langholzhaufen bei ihren Fahrrädern und dachten nicht, dass wir ihnen folgten. Wir haben sie überrascht und in die Flucht geschlagen und dabei die meisten Fahrräder erbeutet. Das war ein Sieg! Schon in den nächsten Tagen kamen einzelne Eltern mit den Jungen und holten ihre Räder ab. Von da an konnte man natürlich nicht mehr allein nach Plattenhardt, sondern nur mit der Bande.

Im Winter 1941/42 hatte es unheimlich viel Schnee. Vor den Häusern waren hohe Schneehaufen aufgeschichtet. Wir konnten mit Pfannen und Schaufeln die Hänge zum Bahngleis zu hinunter fahren. Dabei gab es ganz tiefe Fahrrinnen. Oben fuhr man hinein und unten flog man wieder heraus. Auf dem Stallberg – so wird die Hauptstraße im Volksmund genannt -sind wir mit Schlitten und auch nur mit Schlittschuhen hinunter gefahren. Wenn jemand mit dem Aschenkübel gestreut hatte, brauchten wir nur eine Kanne voll Wasser darüber leeren, und schon war unsere Eisbahn wieder glatt Die schrägen Rinnen der Straße hatten wir noch als Schanzen ausgebaut, sodass es noch schwieriger – und spaßiger – wurde. Hinter unserem Haus konnte man vom hohen Weg bis fast zur Bahnlinie hinunter fahren. Wir banden 2 bis 3 Schlitten zusammen und einer mit Schlittschuhen saß vorn als Steuermann. Die gefährlichste Stelle war beim Laib um die Kurve. Weil bis zu 10 Leute auf so einem Gespann saßen, erreichte dies eine hohe Geschwindigkeit. Die Schlittschuhe waren an die Schuhsohlen geschraubt und sie gingen oft los, oder rissen sogar den Absatz weg. Besser waren da die Holzschuhe. Es gab mit Filz gefütterte Schuhe mit 2 Schnallen und feste Holzsohlen, wie man sie in Brauereien schon immer hatte. Auch wenn an normalen Stiefeln die Sohlen kaputt waren und das Oberleder noch gut war, dann hat der Schuhmacher Holzsohlen dran genagelt. An die „Holzklepfer konnte man die Schlittschuhe und auch die Ski gut befestigen. Die Holzsohlen waren wie auch bei anderen Schuhen genagelt und deshalb bekam man im Schnee immer hohe Stollen, weil der Schnee an den Nägeln anfror. Um die Füße hatte ich immer Wickelgamaschen über die Trainingshose gewickelt, dass die Hose nicht nass wurde und festfror. Mit den Fassdauben war nicht gut zu fahren und ich bekam vom Eberwein in Waldenbuch ein Paar neue Ski. Der hatte sie aus einem Brett heraus gesägt. Das war dann schon etwas ganz Besonderes. Sie kosteten 12 Mark und die hatte ich mir mit Bürstenmachen selbst verdient.

Im Sommer musste man Ähren lesen auf den abgeernteten Stoppelfeldern. Das war eine mühselige Arbeit und sehr unbeliebt. Wenn man an einem noch nicht abgeernteten Acker holen konnte, hatte man das Säckle schnell voll. Aber die Bauern passten auf und es war natürlich auch verboten. Beim Umtausch zu Mehl in der Mühle war man natürlich froh um jedes Pfund.

Im Herbst kam im Wald zum Holzsammeln noch das Buchele sammeln dazu. Alle Leute strömten in den Wald mit Besen und Rechen und siebten das Laub mit den Bucheckern durch. Ja sogar mit Windfegen haben manche ganze Säcke voll zusammengesammelt. Das hat sich schon rentiert, den in der Ölmühle in Neckartenzlingen hat man für 7 Pfund 1 Liter Öl bekommen und mit dem Öl konnte man sich wieder andere Dinge eintauschen. Wir haben nur mit der Milchkanne und von Hand gesammelt. Das war sehr mühsam, bis so eine Kanne voll war.

Da war Tannenzapfen sammeln schon besser, überhaupt wenn sie schon offen waren. Da wurde das Wägele hoch mit Säcken vollgeladen und noch einen Gipfel hinten angehängt und dann den holperigen Weg nach Hause gezerrt. Alles was man zum Kochen und Heizen brauchte, hat man mit dem Wägele herangeschafft. Das Reisig hat man zu kleinen Büschele gebunden und die Äste zu Brennholz zusammengehackt. Der Wald war wie ausgefegt.

Am Bahnhof in der Burkhardtsmühle wurden oft Kohlen ausgeladen und dabei fiel zwischen die Gleise der Kohlenstaub.

Haltestelle Burkhardtsmühle

Haltestelle Burkhardtsmühle

Wir haben den Dreck mit dem Wägele herangeschafft und in einem Eimer nass gemacht. Eine Schaufel voll auf das Feuer im Ofen war so gut wie richtige Kohlen, die man ja nur auf Bezugschein bekam.

Wir hatten ja im Haus unten einen Backofen und haben das Brot selbst gebacken. Es wurde mit Kartoffeln gestreckt. Auch bei der Rosa Krauch war der Backofen im Freien oben am Bückele. Wenn die gebacken hat, dann gab’s immer auch noch einige Flammkuchen. Kartoffelkuchen, oder Röhrleskuchen, Salzblätz, oder Zwiebelkuchen. Da haben wir Buben auch immer ein Stück davon abbekommen. Der Wilhelm war ja auch immer dabei und ich war oft bei ihm in der Werkstatt. Da konnte man alles Mögliche zusammenbasteln, denn der Krauch hatte alles Werkzeug was man brauchte. Wenn schlechtes Wetter war, haben wir bei ihm in der Küche Spiele gemacht. Die Rosa, seine Mutter, hat immer mitgetan und man durfte sogar rauchen und Most trinken und man bekam da immer ein großes Butterbrot mit Zucker drauf oder ein Gsälzbrot.

Ich habe in Waldenbuch alles gelernt, was ein Bauer und Holzfuhrmann können muss. Vom Melken bis zum Pflügen und säen und mähen mit der Maschine und von Hand, vom Langholzfahren bis zum Bienen versorgen.

Das war so in etwa meine Zeit in Waldenbuch und Glashütte. Man hätte noch viele Sachen erzählen können.

 

Hinweis:

Der Originaltext von Werner Soulier wurde mit Genehmigung des Autors freundlicherweise von Dr. Dietmar Kowertz leicht überarbeitet und gekürzt.

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