Kriegsgeschehen in der Glashütte

Werner Soulier, Jahrgang 1931, im Sommer 2014

Bei Nacht fing die Glocke auf dem Schulhaus an zu läuten und der Büttel verkündete, dass Krieg sei und alle Männer mussten einrücken. Das war im September 1939

Bunkerbau und Bombennächte

Bunker bauen war 1942/43 in der Glashütte große Mode. In jeden geeigneten Berg hat man Luftschutzbunker gegraben. Die Männer und Frauen und natürlich auch die größeren Kinder mussten alle so und so viel Stunden beim Bunkerbau helfen. Man hat zig Meter lange Gänge in den Felsen gehauen und innen mit Pfosten und Deckenbalken abgestützt. Einige brachten vom Geschäft sogar Boschhämmer mit und Kompressoren. Damit ging es dann noch viel besser. Beim Krauch, unserem Nachbarn, hatten wir einen Bunker mit 20 Meter langem Gang in den Berg hinein und beim “Grünen Baum” war schon wieder einer und der war noch länger und hatte sogar noch einen hinteren Notausstieg für den Fall, dass das vordere Eingangsloch verschüttet wurde. Die Leute haben sich geplagt und geschunden, um bei den immer stärker werdenden Luftangriffen Schutz zu haben.

Es war eine Mode, der sich unsere Mutter nicht anschloss. Erstens hatten wir ja einen Luftschutzkeller und zweitens hatte sie keine Angst und blieb oft im Bett, wenn alle anderen Leute im Keller hockten. Wir standen meistens unter einem starken Blechdach an der Hütte und sahen den Fliegern und der Flak zu. Das hatte den Vorteil, dass wir gleich sahen, wo eine Stabbrandbombe eingeschlagen hatte und wir konnten so manchen Brand gleich im Keim ersticken. Wenn es dann ganz nah und dick kam, sind wir auch in den Keller gegangen.

Im März 1943 war einmal ein großer Fliegerangriff und dabei haben sie den für die Stadt Stuttgart vorgesehenen Bombenteppich 20 Kilometer zu früh abgeworfen. Von Dettenhausen bis Möhringen war alle paar Meter eine oder mehrere Bomben in die Landschaft gefallen. Die Ortschaften, die dazwischen lagen, wurden dabei mehr oder weniger total zerstört. Sogar einzeln stehende Gehöfte wurden getroffen.

Wir standen wie üblich oben im Garten unter einem Blech und sahen den „Christbäumen“ zu. Alles war taghell ausgeleuchtet. Da kam der Verband der Bomber an. Man konnte die weißen Streifen am Himmel sehen. Alles glitzerte von den Stanniolstreifen, die von den Fliegern zum Schutz gegen die Ortung der Flak abgeworfen wurden. Die Flak schoss wie verrückt und die Scheinwerfer erfassten immer mal wieder einen außerhalb des Verbandes fliegenden Jägers. Auf einmal war alles anders als sonst.

Plötzlich fing es unheimlich an zu rauschen und da hatte es auch schon auf der Bühne eingeschlagen und im Garten schlugen einige Blindgänger ein. Wir rannten ins Haus und auf die Bühne und konnten die brennende Stabbrandbombe zum Fenster hinauswerfen und die Brandstelle löschen. Wir gingen dann schnell in den Keller, aber da drin hat man alles nur gehört und nichts gesehen. Es hörte irgendwann auf und wir sind heraus und sahen, wie es überall brannte. Alle Leute löschten soweit es ging und da sahen wir auch das Haus oberhalb der Bahn brennen. Man rückte mit der Feuerspritze aus und hat gelöscht, konnte aber nicht verhindern, dass das Haus weitgehend abgebrannt ist.

In Steinenbronn und Musberg sah es sehr schlimm aus. Da sind neben den Brandbomben auch noch Luftminen gefallen und deshalb wurden alle Häuser mindestens abgedeckt und die Scheiben zerstört. Mit dem Jungvolk mussten wir tagelang beim Dachdecken helfen.

Der Boden war aufgeweicht und es lag noch Schnee und deshalb gingen die allermeisten Stabbrand-und Phosphor-Bomben nicht los. Man sah überall auf dem Feld und im Wald die verbogenen Leitwerke aus der Erde heraus schauen.

Von der Schule aus mussten wir zusammen mit einem Polizisten diese Blindgänger einsammeln. Man konnte die Meisten am Leitwerk herausziehen, aber manchmal musste auch gegraben werden. Der Polizist hat uns zuerst über die einzelnen Bombentypen aufgeklärt. Die normalen Stabbrandbomben hatten keinen Sprengsatz. Aber wenn eine Schraube unten zu sehen war, dann hatte diese einen Sprengsatz und mit der musste dann ganz vorsichtig umgegangen werden. Nach einiger Zeit bekam man schon Erfahrung und hat die normalen Dinger gleich am nächsten Markstein losgelassen, dass man sie nicht so weit mit dem Schlitten an den Sammelplatz ziehen musste. Die Phosphorbomben haben wir den Steinbruch hinunter geworfen. Die Sprengkapsel hat den Rumpf aufgerissen und das klebrige Zeug auf die Umgebung verteilt, wo es dann angefangen hat zu brennen, so bald es Luft bekam. Die Bomben waren etwa einen halben Meter lang und so dick wie ein Ofenrohr.

Das hochexplosive Pulver in der Kapsel konnte zu allerlei Sachen verwendet werden. Wir haben damit auf dem Müllplatz alte Fahrradrahmen oder Lenker gefüllt und mittels einer Zündschnur gesprengt. Mit 2 Nägeln und einer Zange konnte man die Sprengkapseln aufmachen. Das ging so lange gut bis es dem Rolf Auch fast die Hand weggerissen hatte. Von da an wurden wir wieder vorsichtiger. Alle wurden verhört, aber wir wussten natürlich von nichts.

Im April 1944 kam ich in eine Internatsschule und habe die Bombenangriffe bis zum Januar 1945 nicht selbst erlebt. Im Herbst 1944 wurden wir nach Hause entlassen, wir sollten helfen, den verlorenen Krieg doch noch zu gewinnen. Man konnte in die Rüstung, den Bergbau, oder die Landwirtschaft gehen. Ich trat am 15. Januar 1945, noch nicht 14 Jahre alt, bei Ernst Pfannenschwarz in Waldenbuch als Landarbeitslehrling meine Lehre an.

Ernst Pfannenschwarz

Ernst Pfannenschwarz

Monatslohn 15,- RM bei freier Kost und Unterkunft. Das war ein kleiner Betrieb mit 15 ha, ein Pferd und ein Ochse und 10 Stück Vieh, Schweine, Hühner, Gänse und 30 Bienenvölker. Der Chef war OBF (Ortsbauernführer) sowie Darlehnskassenvorstand und deshalb nicht Soldat. Die Eltern von ihm wohnten unten im Haus und ich hatte da auch ein Zimmer.

 

Die Franzosen kommen

Zu Hause wurde inzwischen alles auf den Einmarsch der Franzosen vorbereitet. Viele Nachbarn standen am 19.4.1945 bei uns vor dem Haus am Wäschetrockenplatz und man war gespannt, wie alles ablaufen würde. Man hörte Panzerkettengeräusch und Motorenlärm und sah dann, wie einige Fahrzeuge langsam in die Glashütte herein gefahren kamen. Auf den Fahrzeugen hockten die Soldaten, Franzosen und Marokkaner und fuchtelten mit ihren Maschinenpistolen herum. Einer sprang herunter vom Jeep. Er ging direkt auf mich zu und sagte, ich sei ein Soldat und solle mitkommen. Ich hatte einen grünen Anzug an und sah von weitem wohl so aus. Als er mich genau ansah, und alle sagten, „nix Soldat”, ging er weiter. Mir schoss dasHerz in die Hosentasche, denn ich hatte eine 08 (Pistole) in der Tasche. Wenn er an mir heruntergefahren wäre, dann hätte er es bemerkt. So verdrückte ich mich schnell und habe die Pistole im Abwasserschacht in der Waschküche versteckt. Von der Pistole wusste natürlich niemand.

In der Nacht darauf kamen dann viele Panzer und andere Fahrzeuge. Das Brückle über die Aich war ihnen offenbar zu unsicher, deshalb fuhren sie einfach durch den Bach. Die Soldaten waren sehr müde und wollten nichts, als ausschlafen. Als dann diese Vorhut wieder abgezogen war, kamen die Marokkaner mit ihren Mulis. Sie waren nicht müde und wollten alles, was nach Frau aussah, gleich packen. Der Vater hatte alle Hände voll zu tun, um die Weibsleute zu verstecken. Die Mädchen mussten sich alte Männerkleider anziehen und wurden im Bunker beim “Grünen Baum” versteckt. Die Neugier der Weiber war groß und man konnte nicht verhindern, dass sich hin und wieder eine blicken ließ. Aber da schimpfte er sie aus und wurde sehr böse.

Der Büttel schellte aus, dass jede Familie einen Anzug mit Schuhen und Hemd abzugeben hatte und alle Radios und Fotoapparate sowie eine komplette Bettwäsche. Uhren wurden den Leuten abgenommen und alle Sachen von Wert waren nicht sicher, eingezogen zu werden. Es wurde bekannt gegeben: Wenn man bei jemand etwas Verbotenes findet, wird er erschossen. Ich hatte noch meine 08 und im Garten einen vergrabenen Revolver vom Hermann. Der Vater gab keine Ruhe, bis alles ausgegraben und fortgeworfen war. Damit war – zumindest für uns junge Leute – der Krieg zu Ende, aber nicht vergessen.

Hinweis:

Der Originaltext von Werner Soulier wurde mit Genehmigung des Autors freundlicherweise von Dr. Dietmar Kowertz leicht überarbeitet und gekürzt.

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