Wer klaut schon eine Dampflok?!

      Foto wikipedia

Für viele ist der Bundeswanderweg im Siebenmühlental eine gute Variante, um per Pedes oder mit dem Rad autofrei in Richtung Stuttgart zu kommen. Doch es ist noch gar nicht so lange her, da verband eine Zugverbindung durch das liebliche Tal Waldenbuch mit der Landeshauptstadt. Und – kaum anders zu erwarten – aus dieser Zeit gibt es manche Geschichte zu erzählen.

Ein echtes Kleinod ist die folgende Begebenheit, die zu einer Zeit passierte, als die Abenteuer von Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer noch lange nicht geschrieben waren.
 

1956. Lok an der Haltestelle Burkhardtsmühle                                  Foto Archiv W. Härtel

Als Züge noch unter Dampf unterwegs waren, „übernachteten“ die auf der Strecke eingesetzten Loks regelmäßig im Lokschuppen in Waldenbuch. Da das Einfeuern des Kessels zum Erzeugen von Dampf Vorlauf brauchte und schon damals Energie ihren Preis hatte, war es üblich, die Loks unter Dampf über Nacht abzustellen. Wer klaut schon eine Dampflok?

Von Diebstahl mochte wohl keiner sprechen. Doch irgendwann machte sich eine der Loks Desnächten auf die Reise.

1928. Erster Bahnhofsvorstand posiert vor dem Waldenbucher Bahnhof

Im Digitalzeitalter kaum zu glauben: Eine Dampflok zu bedienen ist angeblich gar nicht so schwierig. Um das Gefährt nur etwas zu bewegen, braucht man Reglerhebel, eine Umsteuerung für die Fahrtrichtung und im einfachsten Fall die Handbremse der Lok.

Für technikfaszinierte Lausbuben ein Kinderspiel – erst recht, wenn sie zuvor schon vom Lokführer mit in den Führerstand genommen wurden. Vielleicht war es eine Mutprobe, sicherlich war es getrieben von einer ordentlichen Portion Abenteuerlust, also fassten sich einige der jugendlichen Eisenbahnfans in irgendeiner Nacht ein Herz und legten los.
Raus aus dem Schuppen in Richtung Prellbock, dann mit Wechsel der Fahrtrichtung auf nach Stuttgart. Mindestens eine Weiche musste gestellt werden, um diese Meisterleistung zu vollbringen und raus aus dem Bahnhof zu rollen. Der Bahnhofsvorsteher im Stationsgebäude Waldenbuch muss einen festen Schlaf gehabt haben, auch wenn die langsame Dampflok auf der leicht abschüssigen Strecke wohl wenig Lärm machte.
Die Talfahrt dauerte bis zur Burkhardtsmühle. Welche Konsequenzen das Abenteuer für die Verursacher hatte, ist nicht überliefert. Öffentlich hielt man bei der Bahn den Ball flach, doch intern war man aufgeschreckt: Das Dampflok-Ausbesserungswerk Esslingen bekam den Auftrag, ein Sicherungssystem zu entwickeln, damit gerade die Dampfloks mit Übernachtung in Waldenbuch kein „Eigenleben“ mehr entwickeln konnten. Es wurden Beschläge für eine Eisenstange gebaut, mit denen der Reglerhebel der Lok in Nullstellung gesichert wurde.
Die Geschichte verdient einen Ehrenplatz im Anekdotenschatz Waldenbucher Geschichten. Wer vielleicht noch mehr darüber weiß, kann sich gerne bei mir melden.
Print Friendly, PDF & Email