Stuttgart 21 kommt im Schönbuch an

Deutsche Bahn AG und der Landkreis realisieren bei der
Neuweiler Viehweide ein Ansiedelungsprojekt für den
seltenen Juchtenkäfer

Der Juchtenkäfer ist ein seltenes Tier. So selten, dass er nicht nur streng
geschützt ist, sondern auch dem Milliardenprojekt Stuttgart 21 beinahe das
Genick gebrochen hätte. Doch dem seltenen Krabbeltier wird nun im
Schönbuch nahe bei der Neuweiler Viehweide ein Ersatzquartier
eingerichtet, in dem er sich breit machen kann.

WALDENBUCH. Die Stuttgarter Story um den Juchtenkäfer im
Rosensteinpark liest sich am Ende fast wie ein kleiner Krimi – und mit
Gewissheit weiß niemand nichts zu sagen. Nachdem im Februar diesen
Jahres schließlich 100 Bäume am Hang des Parks gefällt wurden, um den
Tunnelbau der S-Bahn und Fernbahnröhre vollenden zu können (siehe
Hintergrund), ist in der Baumhöhle einer Robinie eine Flasche mit
Kotpillen des Juchtenkäfers entdeckt worden. Das hat den
schwerwiegenden Verdacht erweckt, dass womöglich Projektgegner von
Stuttgart 21 gezielt an Bäumen manipuliert haben könnten, um den Bau
auszuhebeln. Und so werden nun also im großen Maßstab
Ausgleichsmaßnahmen für einen Käfer fällig, der – am Ende vielleicht
dann doch gar nicht (?!) – im Rosensteinpark zuhause gewesen ist.

Wie auch immer: Weil im Vorfeld der Fällungen von einem Vorkommen
des Juchtenkäfer im Rosensteinpark ausgegangen worden war, musste von
höchster Stelle, der EU in Brüssel, eine Stellungnahme zum Fällen der
Bäume eingeholt werden. Die Genehmigung wurde schließlich erteilt –
verbunden mit erheblichen Ausgleichsmaßnahmen.

Und so herrschte nun am Dienstag im Waldenbucher Staatswald, in einem
Bezirk, der vom Forstrevier Weil im Schönbuch betreut wird ein gehöriger
Auftrieb an Journalisten aus Print, Funk und Fernsehen: Die Bahn AG,
Forst BW und der Landkreis Böblingen erörterten die Maßnahme in allen
Einzelheiten. Und alle machten klar, dass dem Juchtenkäfer vor allem als
wertgebende Referenzart so große Bedeutung zukommt: Wo er lebt, haben
üblicherweise auch andere seltene Insekten, Wirbeltiere und Pilze ihr
Zuhause.

In der Neuweiler Viehweide ist der Juchtenkäfer schon heute zu finden.
Das Naturschutzgebiet dort zeigt ein vergleichsweise offenes, lichtes
Waldbild, in dem Solitäre von bis zu 400 Jahre alten Eichen stehen, viele
davon mit wichtigen Totholzanteilen. Und genau in diese Richtung soll nun
auch der angrenzende, bislang noch nicht geschützte Wald entwickelt
werden. Das gilt vor allem für einen rund 300 Meter breiten und einen
Kilometer langen Korridor auf dem Weiler Berg, der wiederum in einem
Waldgebiet mündet, in dem weitere Juchtenkäfer-Bestände nachgewiesen
wurden.

Bei alledem denken die Förster und Naturschützer in besonders
langfristigen Dimensionen: Dem Käfer soll ein Lebensraum für die
nächsten 200 bis 300 Jahre angeboten werden. Das bedeutet, dass der
Fokus nun vom buchenreichen Wirtschaftswald weggeblendet und auf die
Bedürfnisse des Naturschutzes und des Juchtenkäfers umgestellt wird.

Weil der Käfer eine wärmeliebende Art ist, geht es im ersten Moment
darum, den Wald behutsam auszulichten und Buchen zu entnehmen. 36
Eichen sollen aber als Zielbäume stehen bleiben und unter der Regie von
Revierförster Daniel Berner mittelfristig zu Baumveteranen entwickelt
werden, wie sie in der Neuweiler Viehweide schon heute anzutreffen sind.
Weil der Juchtenkäfer auf Baumhöhlen angewiesen ist, um im Inneren der
Stämme seine Puppenstuben anlegen zu können, wird künstlich
nachgeholfen: In die Zielbäume werden Höhlungen hineingesägt, die das
Vorkommen von Spechthöhlen oder auch größeren Ast-Abbrüchen
simulieren. Die künstlichen Baumwunden stopfen die Förster mit
Sägemehl und Laub aus, was die Ausbildung von Mulm und Pilzen
begünstigen soll: Denn genau dies ist der Nährboden, den der Juchtenkäfer
braucht. Kurzum: Es werden Bedingungen geschaffen, um den Fortbestand
und die Ausbreitung der Population zu fördern – über Jahrhunderte hinweg.
Ein typisches Biotopverbund-Projekt also. Weils Revierförster Daniel
Berner nennt es sein “Lichtwald-Projekt”, an dem er besonders gerne
mitarbeitet: “Weil dadurch auch der Schönbuch mit seinen dicken
deutschen Eichen bewahrt wird.”

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