Kreiszeitung Böblinger Bote

Artikel vom 27. März 1998

WILLI HAHN / Der Künstler wird 70 Jahre

Phantasie und Trauma, Gewalt und Erotik WALDENBUCH – Willi Hahn, der Maler, Graphiker und Bildhauer, wird Ende dieses Monats siebzig. In Waldenbuch lebt und arbeitet er seit dem Jahr 1955. Phantasie und Trauma, Erotik und Gewalt prägen bis heute seine Arbeit.

Frauen, die nichts als Frauen sind, beschäftigen Willi Hahn offensichtlich, wenn man seine Zeichnungen, Ölbilder und Steinobjekte auf einen Nenner bringen will. Ein Mann sei er selbst, ihn hätten die weichen Konturen des Weiblichen gereizt, meint dieser Künstler. Er erforscht das weibliche Wesen jedoch nicht, Charakter, Zeitbild und Stimmungen bleiben außen vor. Hahn bleibt nicht nur beim Urbild stehen, er schränkt dieses mehr oder weniger auf das Triebhafte ein; ein Strumpfband verweist immer wieder von Zeitlosigkeit zur Gegenwart und von Natürlichkeit hin zu lasziver Lust. Dann vermischen sich noch subjektiver Genuß und gesellschaftskritische Übersetzung. Die Frau ist ein Objekt – und er meint wohl, der Mensch sei zum Objekt geworden, das sein Schicksal blind ausleben müsse. Allzu viele Freunde schuf sich Willi Hahn mit der rohen Sinnlichkeit seiner Arbeiten nicht.

Nicht daß er noch ein Tabu hätte brechen müssen. Seine Zeit kannte bereits viele Freiheiten, die Kraft aber, die in Hahns Formen tobt, läßt so manche Betrachter zurückprallen. Da fragt man dann gar nicht mehr nach Herkunft und Ziel. Ansonsten könnte man erfahren, daß hier einer sich selbst malt und formt. Als Sechzehnjähriger erlebte Hahn die Schrecken des Krieges an der Front, und wenn er später Vietnam oder Biafra thematisierte, litt er noch einmal unter den allzu vertrauten Vorstellungen des Grauens. Hahn arbeitet in den Bildern flächig und bezieht doch den Raum ein, so daß seine Körper wie ins Dasein geworfen wirken. Das Verhältnis von Figur und Hintergrund vermittelt, daß hier jemand Begrenzung und Zwänge sprengen möchte. Das Aufbäumen gestaltet sich als eine rauhere, ungeduldigere Art von Traum und Sehnsucht. Hahn katapultiert sich parallel zur real forcierten Weltraumfahrt hinaus, hinauf zu den Planeten. Doch kommt er nirgendwo an, findet nichts für sich, ahnt nur, daß derartiges Streben zum Verderben führen müsse. Seine Wesen, die dies alles für ihn ausdrücken, nennt er Tanten. Im Laufe von Jahrzehnten werden sie weicher, das Bedrohliche, Wilde hat sich offenbar verflüchtigt wie ein böser Traum. Jetzt scheint Hahn eher zu betrachten, sich der Formen zu erfreuen. Jetzt bin ich wirklich auf der Erde, nicht mehr oben, nicht mehr als Kugelfang, meint er. Seine Erde aber ist noch längst nicht jedem zugänglich. Sprunghaftigkeit Wenn er durch seinen Garten führt, müßte man seine sprunghafte Vorstellungskraft haben, um in den großen Kieselsteinen nicht nur Skulpturen, sondern europäische und afrikanische Brüste zu erkennen. Zu einem ganz ähnlichen Stein oder Kopf meint Hahn: Das bin ich, so war ich schon als Kind. Daß da ein Kopf durchschossen, der andere geisterhaft durchsichtig ist, liegt näher. Hier fällt auf, daß Hahn dem Gefundenen (das hat der liebe Gott für mich gemacht) den selben Respekt zollt wie dem Gemachten. Er erkennt, interpretiert und plaziert die kleinen Steine lediglich, die tonnenschweren allerdings bearbeitet er, bis er ihnen Brüste und Vagina einverleibt hat. Hahns Mauer ist nun wirklich nicht originell, aber man spürt mit ihm den Alpdruck der Zeit vor fünfzig Jahren, als er als Berliner Kunststudent im Osten knapp einer Verhaftung entging. Immer mußte er gestalterisch umsetzen, was ihn überfiel, gestellte Themen waren ihm nicht zugänglich. Soweit sich sein Gegenüber nicht allzusehr von Trends und sogenannten moralischen Werten leiten ließ, fand Hahn durchaus auch Anerkennung. Ob Zeichnung, Ölbild, Holzschnitt, Hammerschlagtechnik, Aquarell oder Plastik, Hahn wütet nur in Inhalt und Form, nie aber in der Technik. Die ihm solche Freiheit ließen, kauften und stellten aus. Auf diese Weise erhielt sich der Kontakt zur Staatsgalerie Stuttgart über Jahrzehnte hinweg. Ausstellungen führten Willi Hahn in mehrere europäische Länder, so auch im Jahr 1985 zur Biennale der Europäischen Graphik nach Baden-Baden, Brüssel, Swansea und Kopenhagen.  
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