Das Wochenendhaus Rist, heute Panoramaweg 52, früher Feldweg am Wengertberg, wurde 1927 in damals völlig freier Landschaft errichtet. Wie kam es dazu? Der Bauherr Fritz Rist aus Degerloch war als Zwanzigjähriger vor dem ersten Weltkrieg mehrere Jahre als Textilkaufmann in Ägypten tätig, kam mit dem letzten Schiff bei Kriegsausbruch über Hamburg wieder nach Stuttgart zurück und wurde dort wegen seiner langen Anreise noch als Kriegsfreiwilliger angenommen, nachdem entsprechende Versuche unterwegs erfolglos geblieben waren.
Er wurde an die Front gegen Frankreich geschickt und dort nach wenigen Wochen mit zerschossenen Beinen, aber lebend, abtransportiert. Eine aktive Teilnahme an öffentlichen Sport- und Freizeitaktivitäten waren für den begeisterten Turner fürderhin undenkbar geworden. Auch an Wandern war nicht mehr zu denken. So suchte er sich nun als beruflich Selbständiger auf vielen Autoausfahrten im Land ein geeignetes Grundstück zur Schaffung eines privaten Refugiums. Dabei wurde er durch seinen Schulkameraden Erwin Knödler, Forstmeister, und allen alten Waldenbuchern als herausragendes Original in lebhafter Erinnerung, auch nach Waldenbuch gebeten. Nach Besichtigung des schön angelegten baumbestandenen Gartens mit kleinen Gartenhaus des Uhlandschen Apothekers – das spätere Anwesen Schenk – zog es ihn noch auf die damals völlig kahle Geländenase mit einem ausgelaufenen Sandsteinbruch für Mahlsteine. Das sollte dann tatsächlich sein Platz werden, nachdem der Eigentümer bei äusserst guter Bezahlung zu einem Verkauf bewegt werden konnte. Der Steinbruchbesitzer lebte in Plattenhardt, liebte aber seinen Waldenbucher Platz wegen seiner schönen Lage sehr und kam an Samstagen oft mit seinem Mostkrug und setzte sich vor seiner Bretterhütte mit Blick aufs Städtle und die Landschaft.
Der Bruder von Fritz Rist, Regierungsbaumeister Walther Rist, Leiter des schwäbischen Siedlungsvereins in Struttgart, später Leiter des weltweit agierenden Bosch-Siedlungswerks, plante das äusserst progressive Haus zeitgleich mit einem Musterhaus des Vereins für die berühmte Bauausstellung auf dem Stuttgarter Weissenhofgelände im Jahr 1927. Das Wochenendhaus war nicht nur in seiner architektonischen Form und bautechnischen Durchbindung in teilweise vorgefertigter Thermoplattenbauweise und Zement-Asbest-Plattenverkleidung äusserst fortschrittlich, sondern entwickelte gestalterisch und funktionell einen spezifischen Wochenendhaustyp, der nichts mehr mit den für diese Bauaufgabe gängigen Schrumpfformen überkommener Bauerhäuser oder Stadtvillen gemein hatte. Die Gartenanlage wurde von namhaften Gartenarchitekten Carl Wilhelm Siegloch betreut. Im Stuttgarter Neuen Tagblatt vom 11. Juli 1927, in dem über den Bau der Schönbuchbahn berichtet wurde, war über Waldenbuch zu lesen, dass „das erste Wochenendhaus demnächst von seiner Höhe auf das alte Städtlein herabschauen wird.“
Die Gartenanlage wurde dann über mehrere Jahre von einer Waldenbucher Arbeitstruppe unter Führung des äusserst sachkundigen Herrn Gottlob Mundle, der am Fuss des Berges an der Nürtinger Strasse wohnte, fertiggestellt. Gearbeitet wurde vor allem in den Monaten, in denen es wenig in der Landwirtschaft zu tun gab und ein Zuerwerb sehr willkommen war. Da der Steinbruchbesitzer nach anfänglichen Zögern nur dann zur Veräusserung seines Steinbruchgrundstücks zu bewegen war, wenn der Erwerber auch seine ins Tal führende „Handtuchparzellen“ zu den gleichen Bedingungen mit kaufte, entstand ein ziemlich ausgefranstes Gesamtgebilde. Als dann in der Folgezeit an eine Einfriedung des Anwesens gedacht wurde, drängte sich eine Arrondierung auf. Als die ersten Verhandlungen in diese Richtung erfolgreich abgeschlossen waren, boten die Eigentümer der dazwischenliegenden Steilhangparzellen ihre Grundstücke ebenfalls zum Verkauf, zumal dafür, wie oben dargestellt, sehr gut bezahlt wurde. Die Arbeit eines Sommers bestand dann z.B. in grossen Erdbewegungen, die unter Ausgleich der starken Höhenunterschiede durch die frühere Bodenbearbeitung auf den einzelnen schmalen Parzellen wieder zu einem einheitlich geformten Hanggelände führten, was in einer Zeit ohne Baumaschinen keine Kleinigkeit war.
Der Vater, der damals noch Junggeselle war, zog mit Schwester und Neffe an Weihnachten 1927 erstmals ins Haus. Der Waldenbucher Gesangverein brachte ein Ständchen und an Silvester wurde das Haus bengalisch beleuchtet. Forstmeister Erwin Knödler war bei den Kanonieren gewesen und machte dem Fritz klar, dass man auch eine Salutkanone brauchte. Diese kam dann aus Bayern mit der Bahn nach Dettenhausen und wurde mit Ochsengespann und grossem Hallo nach Waldenbuch überführt. Mit ihr wurden dann etliche Jahre bei allen Festumzügen von den verschiedenen Terrassen begleitende Salutschüsse abgegeben. Da der Vater den „grossen Führer“ aber von allem Anfang an strikt ablehnte, stellte er das Schiessen völlig ein, als die Feste von Nazis unterwandert wurden. So habe ich die mächtige Kanone nie in Aktion erlebt.
Die perfekt funktionierende Verwaltung in der Nazizeit hatte das Wochenendhaus bald als entartete, verunstaltende Kunst ausfündig gemacht und 1939 dessen Abbruch oder Umbau verfügt, was dann ja wegen des Kriegsfortschritts und der Einstufung als nicht Kriegswichtiges Vorhaben durch den Reichsarbeitsminister innerhalb der gesetzten Jahresfrist in eine Aussetzungsverfügung mündete.
Es hat dann immerhin bis zum Jahr 2004 gedauert, bis durch die Denkmalschutzbehörde die besondere Qualität dieser wahrlich nicht zu übersehenden Anlage erkannt und Haus und Garten als Sachgesamtheit unter Schutz gestellt wurden. Dies ist auch deshalb bemerkenswert, weil für Waldenbuch eine der ersten Denkmallisten im Land erstellt wurde. Der Garten weist auch geschützte Biotope nach Naturschutzgesetz auf. Dies ist wieder keineswegs ein Zufall, denn die Gartengestaltung durch Gartenarchitekt Siegloch zielte unter Verzicht auf jede Form repräsentativer Gesten auf die Schaffung eines Stücks ortsspezifischer Natur, was in jenen Tagen wenig anzutreffen war. So kamen z.B. die Setzlinge im Güterwagen mit der Siebenmühlentalbahn nach Waldenbuch und wurden von den Waldpflanzerinnen professionell eingepflanzt. Kein Wunder, dass man an Waldenbucher Stammtischen davon sprach, dass ein Verrückter kam und „zersch kaufter a Stoihalde on na pflanzt er Dore!“
Hansjörg Rist im Mai 2013